Maskiert an der Arbeit
In die Klinik für Rehabilitation kommen Menschen, die mit chronischen Krankheiten kämpfen oder gerade aus dem Krankenhaus entlassen wurden. Eine Zeit lang konnten wir fast keine Patienten aufnehmen, stattdessen wurde kurzgearbeitet. Meine Kolleginnen und ich waren davon angetan, die Firmenleitung wohl eher nicht. Jetzt sind die Patienten wieder da und alle tragen Masken - Personal und Patienten. Auf den Fluren, in den Gruppen, bei der Therapie und in den Beratungen. Und darin sind wir uns alle einig: das ist richtig, richtig anstrengend.
Nie hätte ich gedacht, dass Augen, Stirnpartie und Haare samt Ohren so wenig über einen Menschen aussagen. Und dass ich ganz wenig ablesen kann, wer da vor mir sitzt, ob der Mensch meinen Vorschlag akzeptiert, ihn vernachlässigbar oder gar schrecklich findet. Alles muss jetzt verbalisiert werden, was sonst stillschweigend verstanden wurde. Das macht die Beratung anstrengend. Und Gruppenarbeit könnte ich glatt vergessen, wenn sie nicht sein müsste; da kommt keine Stimmung auf. Ich zeige wohl zu Beginn des Gesprächs dem Gegenüber kurz mein Gesicht, manche sind so höflich und zeigen daraufhin auch das ihrige. Dann docken wir an, dann haben wir es einfacher und lockerer miteinander. Übrigens bin ich jedesmal überrascht, was zum Vorschein kommt, wenn die Maske fällt; in keinem Fall hat meine Erwartung mit dem überein gestimmt, was ich zu sehen bekam. Harte Zeiten für Physiognomiker und Phantombildzeichner: Nicht umsonst trägt die gemeine Bankräuberin im Film und im Leben eine Gesichtsmaske bis unter die Augen, damit man sie nicht erkennen kann. Gesicht zeigen praktizieren übrigens vorwiegend Ältere, die Jüngeren lassen ihre Masken auf, auch wenn ich meine abnehme. Was dann folgt ist eine "mechanische Beratung". Wenn das Andocken aneinander nicht gelingt und nichts im Raum schwingt, dann wird nach Chema beraten. Welche Fragen hat der Patient, welche die Patientin, was muss ich abfragen, welche Unterlagen braucht er, welche Lösungen kann ich anbieten. Zusammen etwas entwickeln, auf ganz neue Pfade kommen, Einfälle, Umwege, Geistesblitze: alles weg. In den kurzen Pausen dann Maske runter, das Gesicht zum Fenster rausgestreckt und atmen. Und immer wieder geht es mir durch den Kopf: Wie halten das eigentlich die verschleierten Frauen aus?
Kommentare
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klaus baum am :