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Eine Richtigstellung zum Hissen der Israelflagge vor dem Rathaus in Kassel

Am 9. Oktober verübte ein ultrarechter deutscher Nazi während des Jom-Kippur-Gottesdienstes einen Terroranschlag auf die Synagoge in Halle. Nur die Robustheit der Synagogen-Tür bewahrte die anwesenden jüdischen Mitglieder der Gemeinde davor, Opfer eines Terrorangriffs zu werden. Stattdessen erschoss der Attentäter 2 unbeteiligte Personen. Eine Spende aus New York in Höhe von 12.000 Dollar für die Verstärkung der Eingangstür verhinderte offensichtlich Schlimmeres. Dieser Tür und natürlich auch der Ladehemmung der Waffe des Angreifers war es geschuldet, dass die verängstigten, am Gottesdienst Teilnehmenden unbeschadet überlebten. Das Ereignis ist wie eine Schockwelle durch die Bundesrepublik gegangen. Fassungslosigkeit hat um sich gegriffen, auch ob des Tatbestandes, dass den Bitten der Gemeinde um mehr Polizeischutz nicht nachgekommen worden war.

Auch wenn Jüdinnen und Juden sich in den letzten Jahren sowohl von rechts als auch von islamistischer Seite zusehends bedrängt und angegriffen sahen: Mit einem derartig brutalen Angriff haben jedoch die wenigsten gerechnet. Wie diese Tat ausgegangen wäre ohne die erwähnte Spende aus den USA, kann sich jeder selbst ausmalen… Die aktuellen Statistiken zu Übergriffen und Anfeindungen gegenüber Jüdinnen und Juden sind eindeutig: Die Angriffe werden härter und brutaler und sie breiten sich in allen Bereichen der Gesellschaft aus. Dass viele dieser Übergriffe islamistische Hintergründe haben, wird gern und schamhaft verschwiegen, ist aber ein offenes Geheimnis und Gegenstand von Kritik an der offiziellen Statistik.

Die Stadt Kassel hat, in Person ihres Oberbürgermeisters, Herrn Christian Geselle, als Zeichen der Solidarität mit den Juden in Deutschland, die nun erneut verängstigt sind und um ihre Sicherheit bangen, am Tag nach dem Attentat die Flagge Israels vor dem Rathaus aufgezogen. Ob das die beste aller denkbaren Formen von Solidarität, von offen gezeigtem Beistand und Mitgefühl gewesen ist, darüber kann und darf man durchaus unterschiedlicher Meinung sein. Intuitiv oder bewusst hat der Oberbürgermeister jedoch begriffen, dass der jüdische Staat für die Selbstermächtigung der Juden steht, die damit nicht mehr vom mal gewährten und mal nicht gewährten Wohlwollen einzelner Länder abhängig sind. Vielmehr haben die Juden der Welt zum ersten Mal nach über 2000 Jahren die Möglichkeit, in ihrem Land über die eigenen Geschicke selbst zu bestimmen. Deshalb ist unstrittig, weil das jeder Wohlmeinende sehr genau hat erkennen können (wenn er denn nur wollte!), dass das Hissen der Flagge als eindeutiger Akt der Solidarität mit den Juden in Deutschland gemeint war. Wenn allein im Jahr 2014 knapp 25.000 Juden Frankreich verlassen und sich in Israel in Sicherheit gebracht haben, wird klar, was Israel in der Praxis für die Juden der Welt bedeutet.

In der darauf folgenden Sitzung der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Kassel, am 4. November 2019, hat Simon Aulepp, vom Bündnis KASSELER LINKE, diesen Vorgang heftig kritisiert. Er nahm die Fragestunde zum Anlass, den Oberbürgermeister regelrecht zur Rede zu stellen: Wie der denn dazu komme, die Situation der Jüdinnen und Juden in Deutschland mit dem Staat Israel gleichzusetzen. Da die Antworten Simon Aulepp nicht zufrieden stellten, formulierte er weitere Nachfragen (einen Audio-Mitschnitt ab der 8. Minute der besagten Fragestunde gibt es hier). In der HNA vom 6. November erschien außerdem ein Interview mit ihm. Im Mitschnitt der Fragestunde und im HNA-Interview wird gleichermaßen erkennbar: Sowohl der Vergleich des demokratischen Israel mit dem wahhabitischen Gottesstaat Saudi Arabien als auch Simon Aulepps Beharren darauf, dass mit der israelischen „Besatzungspolitik“ seine Kritik an Oberbürgermeister Christian Geselle allemal berechtigt gewesen sei, zeigen eines überdeutlich: Simon Aulepp ist ein überzeugter Antizionist, der nicht verstanden hat, was der Staat Israel für die Juden in der Welt bedeutet.

Auch wenn dem so ist, nehme ich meine Simon Aulepp gegenüber geäußerte Kritik, die ich am 10.11.2019 im Blog der KasselZeitung gepostet habe – Simon Aulepp sei ein „Antisemit in Reinkultur“ – zurück. Das, was Simon Aulepp in Zusammenhang mit den oben geschilderten Vorkommnissen gesagt, gefragt, in Abrede gestellt und/oder sonst verlautbart hat, rechtfertigt nicht den von mir erhobenen Vorwurf des „Antisemitismus“ bzw. den des „Antisemitismus in Reinkultur“.

Dass Simon Aulepp mit seinem Verhalten jedoch ein überaus eindeutiges, in der Linken alles andere als unübliches und gestörtes Verhältnis zu Israel offenbart hat, ist nichts Neues oder gar Besonderes. Seit dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 ist die deutsche Linke, in fast allen ihren Schattierungen, nicht in der Lage gewesen, ein von Antisemitismus und Antizionismus freies Verhältnis zu Israel zu entwickeln. U.a. mit ihrem zu kurz gegriffenen Antifaschismus-Begriff und Verständnis gehört sie bedauerlicher Weise mit zu der großen Gemeinde der Israel-Hasser und Kritiker, die mit ihrer Sympathie, wenn es um Jüdinnen und Juden geht, viel leichter auf die Toten (die der Shoa) denn die lebendigen Jüdinnen und Juden (die im Staat Israel) positiv Bezug nehmen. Antizionismus und zum Teil auch offener Antisemitismus innerhalb der Linken ziehen sich wie ein roter Faden, hier in der Kürze natürlich nur beispielhaft angerissen, durch von 1976 über 2010 bis heute. So haben 1976 zwei an der palästinensischen Flugzeugentführung in Entebbe beteiligte Mitglieder der sog. Revolutionären Zellen, die beiden deutschen Linken Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann, zum ersten Mal nach dem 2. Weltkrieg wieder Juden bzw. Israelis aus den Flugzeugpassagieren aussortiert. 2010 haben Linke, zusammen mit Islamfaschisten, die Schiffsreise mit der Mavi Marmara zur Befreiung von Gaza bzw. zur Durchbrechung der Gaza-Blockade organisiert. Und gerade eben, in 2019, hat Jeremy Corbyn von der Labour Party die Parlamentswahlen in Großbritannien vergeigt. U.a. deshalb hat er so krachend gegen Boris Johnson verloren, weil er die seit vielen Jahren offen antisemitischen Umtriebe in seiner Partei nicht aus der Welt geschafft hat und weil auch er selbst alles andere als frei war von Vorwürfen und Kritik in Sachen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit. Völlig zu Recht führt ihn deshalb das Simon Wiesenthal-Centrum als ersten in der aktuellen, jährlich herausgegebenen Liste der 10 schlimmsten Antisemiten. Seine Freundschaft zur Hamas ist Legende. Die Kritik an ihm kam auch von eigenen Parteigenossinnen, obwohl seine schärfsten Kritikerinnen inzwischen längst aus der Partei entweder ausgetreten sind und heraus gemobbt wurden. Dass zum ersten Mal nach 1945 mit Oberrabbiner Ephraim Mirvis der höchste Vertreter des Judentums in Großbritannien in einem offenen Brief in die Wahlen eingegriffen hat, zeigt, wie weit die Linke dort herunter gekommen ist. Die Frage des Oberrabbiners in diesem Brief - „Was wird aus uns Juden in GB, wenn Corbyn an die Macht kommt?“ – offenbart das ganze Desaster der Linken.

Unabhängig von dieser Problematik des Antizionismus in der Linken, wie er auch bei Simon Aulepp und seiner SAV, einer trotzkistischen Gruppe innerhalb der Linkspartei, feststellbar ist, nehme ich den Vorwurf des Antisemitismus in Bezug auf Simon Aulepp zurück und verwandle den o.a. Artikel bzw. das Posting in der KasselZeitung so um, dass er über Google nicht mehr auffindbar ist. Es gibt an der bisherigen Stelle im Blog lediglich einen Screenshot davon. Er zeigt nur noch die Stelle auf, an der der alte Artikel vorher gestanden hat. (Ich habe das soeben, am 30.12.2019, 14.00 Uhr, wie angekündigt realisiert).

Diese Rücknahme bzw. Richtigstellung ist das Ergebnis eines Gesprächs zwischen Simon Aulepp, Kai Boeddinghaus und mir. Darüber hinaus hat es ein klärendes Gespräch mit der Fraktion der KASSELER LINKEN gegeben, zu deren Mitbegründern ich selbst gehöre und deren kommunalpolitische Arbeit über jeden Zweifel erhaben ist.

Dass die Debatte über Fragen von Antisemitismus und Antizionismus in der deutschen Linken und der Linken in Kassel damit nicht zu Ende ist, versteht sich von selbst. Angesichts der Tatsache, dass z.B. in der Partei die Linke gleichzeitig eine Untergruppierung existiert, die sich Bak Shalom nennt (eine Gruppe, die eindeutig und solidarisch zu Israel steht) und parallel dazu antisemitisch und antizionistisch angehauchte Mitglieder mit türkischen Faschisten zusammen gen Gaza in See stechen (wie 2010 mit der oben schon erwähnten Mavi Marmara), gibt es erheblichen Klärungsbedarf, um es neutral und diplomatisch zu formulieren. Darüber, dass sich 2014 Gregor Gysi im Reichstagsgebäude vor schlagfesten Israelhassern, die von Mitgliedern der eigenen Bundestagsfraktion der Linkspartei „angeschleppt“ worden waren, die nicht minder israelfeindlich eingestellt waren und sind, aufs Klo hat retten müssen, hat sich die Republik amüsiert. Obwohl das alles andere als lustig war. Für die Entschuldigungen der beiden Linkspartei-Frauen, Groth und Höger, beide waren auf der Mavi Marmara mit dabei und letztere ist sogar aktuelle Landesvorsitzende der Linkspartei in NRW (!!), wird sich Gregor Gysi nichts kaufen können.

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